Klare Kante bei der Kreislaufwirtschaft
Warum Logistikimmobilien für Cradle-to-Cradle-Projekte prädestiniert sind und was dabei zu beachten ist
Heidelberg geht mit gutem Beispiel voran. Mit einem Pilotvorhaben ist die Stadt am Neckar Pionier der Kreislaufwirtschaft in der Stadtentwicklung und im Städtebau: Eine vollständige ökonomische und ökologische Analyse des gesamten Gebäudebestands, der in einem digitalen Materialkataster zusammengefasst wird, soll fortan Auskunft darüber geben, welches Material in welcher Qualität und in welcher Menge verbaut wurde. Urban Mining nennt man so etwas. Und dieser Art des modernen Bergbaus kommt in Zukunft eine Schlüsselrolle zu.
Rund die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland machen Bau- und Abbruchabfälle aus, wiederverwertet wird nur ein kleiner Teil davon – und das zumeist in minderwertigerer Form. Hier kommt das Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C) ins Spiel. Es beschreibt den Weg in eine Welt, in der wir und unser ökonomisches Tun zurück in das Kreislaufsystem der Natur gefunden haben: Alles, was wir produzieren, kann wieder genutzt werden. „Von der Wiege zur Wiege“, wie C2C frei zu übersetzen wäre, beschreibt im übertragenen Sinn die Vision einer abfallfreien Wirtschaft.
Für genau diese Idee, Produktions- und Baustoffe als dauerhafte Nährstoffe in einem natürlichen Kreislauf zu sehen, sind Logistikimmobilien prädestiniert. Dieser Meinung ist Marcel Özer, Mitglied der Geschäftsführung von EPEA, einer Drees-&-Sommer-Tochter, die C2C-Lösungen erforscht und umsetzt. Er weiß, dass es heutzutage auf eine ressourcenschonende Bauausführung ankommt. Özer ist der Meinung, dass in der Logistik Gebäude als Produkte gesehen werden können. C2C wird dabei immer stärker auch zu einem Vermarktungskriterium. Bei C2C-konformen Logistikimmobilien treten deshalb neben emissionssenkenden Maßnahmen im Betrieb zusehends intelligente Konzepte in den Vordergrund, die beim Bau „graue“ Energie einsparen, indem klimaschonende, recycelte oder regenerative Baumaterialien verwendet werden. Ein solcher Ansatz bringt auch angesichts steigender Bau- und Materialpreise Vorteile: Jede Tonne Stahl, jeder Kubikmeter Beton, die nicht teuer und auf langem Lieferweg bezogen werden müssen, sparen Energie und Transportkosten.
EPEA-Geschäftsführer Özer verweist dabei auf die EU-Taxonomie, deren Anliegen auch darin besteht, Transparenz zu erzeugen. Für eine C2C-Umsetzung von Logistikimmobilien braucht es nämlich vor allem einen Grundstock an Informationen: Denn nur das, was man messen kann, kann auch verbessert werden. Zurzeit liegt der Fokus auf Beton als größtem CO₂-Emittenten bei Bauprojekten – mit einem Anteil von 50 Prozent. Bei nachhaltigen Immobilien nach dem C2C-Prinzip geht der Blick aber über kurzfristige CO₂-Emissionen hinaus. Es dreht sich zunehmend auch um die Bereitstellung der Rohstoffe. So hat Stahl zwar den höheren CO₂-Fußabdruck als etwa Holz. Aber für die nächste Generation kann mit hochwertigem Stahl einfach wiederverwendbares Material zur Verfügung gestellt werden.
Wie ein nach Kreislaufgesichtspunkten vorbildliches Logistikimmobilienprojekt konkret aussieht, ist auf dem Grundstück des Industrieparks „Große Heide Wulfen“ in Dorsten zu betrachten. Dort entsteht derzeit das grünste Logistikzentrum Deutschlands – und zwar für die Modemarke Levi Strauss (Levi’s). Es ist deutschlandweit die erste Logistikfläche, die dem Nachhaltigkeitsanspruch C2C vollumfänglich entspricht. Auf dem Areal der ehemaligen Zeche in Wulfen begann Ende März dieses Jahres offiziell der Bau des Fulfillment-Centers. Bis Ende 2023 soll dort die zentrale Warendrehscheibe für Levi’s in Europa entstehen – ein Leuchtturmprojekt für den Markenhersteller. Der C2C-Ansatz wurde auch deshalb gewählt, weil nachhaltig produzierte Bekleidung und entsprechende Textilien in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Und weil dieser Mentalitätswandel vor den Lieferketten nicht haltmacht, müssen die dahinterstehende Logistik und das neue Distributionszentrum strengeren Anforderungen genügen.
Rund 70.000 Quadratmeter wird die neue Logistikimmobilie am revitalisierten Bergbaustandort umfassen, die Levi Strauss für 20 Jahre gemietet hat. Bei der Übertragung ihres Nachhaltigkeitsanspruchs in die Logistikpraxis des „Positive Footprint Wearhouse“ konnte auf die Expertise des Architektenbüros Quadrant4 zurückgegriffen werden, Generalunternehmer ist BREMER Bau und Entwickler ist die bei C2C-Projekten führende Delta Development Group, die mit dem Dorstener Projekt ein Zeichen für zukunftsorientiertes Bauen setzen will. Julian von Hodenberg, Projektmanager bei Delta für die Levi’s‑Immobilie, listet die einzelnen C2C-Elemente des Bauvorhabens auf:
- Es wird auf Beton mit CO2-reduzierenden Zuschlagstoffen gesetzt, der von einem Betonwerk aus Dorsten kommt.
- Materialgesundheit steht an erster Stelle – nicht nur nach den Kriterien der angestrebten LEED- und WELL-Zertifizierungen – sondern auch durch erhöhten Standard nach C2C.
- Das Gebäude wird nach Fertigstellung einen Gebäuderessourcenpass haben.
- Geplant sind ein geothermisches Heiz- und Kühlsystem sowie begrünte Wände und Dächer.
- Der Wasserdurchfluss der Sanitäranlagen wird auf zwei Liter pro Sekunde reduziert sein, statt den standardmäßigen sechs bis acht Litern pro Sekunde.
- Die Photovoltaikanlage auf dem Hochregallager – nicht sichtbar in 27 Meter Höhe – wird 3,5 Megawatt Strom generieren, der für die Intralogistik genutzt werden soll. Überschüssige Energie kann ins Netz eingespeist werden.
- Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Ladestationen für Elektrofahrzeuge sind geplant.
- Ebenso wird ein Park auf dem Gelände entstehen, der später auch der Allgemeinheit zur Verfügung stehen soll.
- Fortschrittliche Recyclinganlagen für die Müllentsorgung runden das Konzept ab.
Ganz im Sinne des C2C-Ansatzes werden jegliche Baumaterialien des neuen Zentrums auf Wiederverwertung ausgelegt und – von zentraler Bedeutung – in einer Materialdatenbank erfasst. Am Ende der Nutzungsperiode ermöglicht eine spezielle architektonische Verwendung die problemlose Trennung nach Materialtyp. Daneben umfassen die C2C-Elemente drei weitere wichtige Aspekte: erneuerbarer Energien, Biodiversität und Wasserverbrauch. Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft deckt sich das Bauvorhaben in Dorsten mit den Anforderungen der Checkliste „Umbau- und rückbaufreundliche Planung“ der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Abrufbar über: https://norocketscience.earth/alles-im-kreislauf/
Delta-Projektmanager von Hodenberg legt beim Thema Kreislaufwirtschaft großen Wert auf Aspekte jenseits der ökologischen Nachhaltigkeit. So garantieren bei dem Dorstener Projekt neben dem C2C-Ansatz auf der bautechnischen Seite sogenannte Human-centered Designs Nachhaltigkeit für die Menschen vor Ort: Das Logistikzentrum ist auf sozialen Austausch und Inspiration ausgelegt und wird mit zahlreichen Gemeinschafts- und Grünflächen ausgestattet. Grün wird der Firmenstandort dabei sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne sein: Neben den Grünflächen im Außenbereich erhält die Immobilie einen Dachgarten, der sowohl zur Aufrechterhaltung der Biodiversität als auch als Sammelstelle des gebäudeinternen Wasserkreislaufs eingesetzt wird. Durch den Einsatz erneuerbarer Energiequellen wird die Immobilie zudem einen Großteil ihres Energiebedarfs selbst decken können. Die LEED- und WELL-Zertifizierungen untermauern den Nachhaltigkeitscharakter des Gebäudes zusätzlich.
Autorin: Janine Zimmermann, Drees & Sommer